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Amygdala Hijack oder „Wenn die Sicherung durchbrennt“ Psycho-Wissen für Führungskräfte

Amygdala Hijack - Wenn die Sicherung durchbrennt Psycho Wissen für Führungskräfte

Haben Sie schon einmal im Büro gedacht „Ist dieser Vollidiot trotz seines Doktortitels nicht dazu in der Lage, eine ordentliche Präsentation zu halten?

Oder… haben Sie das nicht nur gedacht, sondern demjenigen dies mit lauter Stimme entgegen geschrien? Denjenigen beleidigt?

Dann haben Sie erlebt, was ein Amygdala Hijack ist.

Was ist ein Amygdala Hijack?

Ein Amygdala Hijack ist eine unmittelbare und übermäßige emotionale Reaktion auf ein Ereignis, die jedoch in ihrer Intensität in keinem Verhältnis zur Ursache steht. Dies erfolgt, weil die Situation von der Amygdala (Mandelkern) als massive Bedrohung interpretiert wird. Während eines Amygdala Hijack übernimmt das „Angstzentrum“ die Kontrolle über die Gehirnfunktionen und deaktiviert beispielsweise den präfrontalen Cortex (Frontallappen), das rationale Denkzentrum.

Warum sollten wir uns insbesondere als Führungskräfte damit beschäftigen, was ein Amygdala Hijack ist und was dieser für die Mitarbeiterführung bedeutet?

Ganz einfach: Sowohl bei uns, der Führungskraft, als auch bei unseren Mitarbeitern kann ein Amygdala Hijack katastrophale Folgen haben.

Was passiert während eines Amygdala Hijack?

Die Amygdala gehört zu den ältesten Bestandteilen unseres Gehirns und ist unter anderem auch als „Angstzentrum“ bekannt. Zwar hat sie auch noch viele weitere Aufgaben, allerdings wurde ihre Mitwirkung im Zusammenhang mit Angst besonders intensiv erforscht.

Die Amygdala wird aufgrund ihrer Form auch als Mandelkern bezeichnet.

Sie ist ständig aktiv, um zu bewerten, ob uns gerade eine Gefahr droht oder nicht.

Solange wir in keiner Gefahr sind – besser gesagt: solange wir den Eindruck haben, nicht in Gefahr zu sein bzw. wir die Gefahr nicht als solche wahrnehmen – ist sie ganz entspannt und lässt uns unser Ding machen.

Unser Ding machen bedeutet wiederum, dass unser Frontallappen, der präfrontale Cortex, aktiv ist. Im präfrontalen Cortex findet unser bewusstes Denken, rationales Denken, Entwickeln von Strategien, Abwägen von Möglichkeiten oder Planen von Aktionen statt.

Deswegen spricht man im englischsprachigen Raum auch vom „Executive Brain“.

Entspannung hilft die Amygdala im Zaum zu halten

Wer entspannt ist, hält die Amygdala unter Kontrolle

So, jetzt wird es wichtig:

Der präfrontale Cortex hat im „Normalzustand“, wenn wir uns also keiner Gefahr bewusst sind, eine dämpfende Wirkung auf die Amygdala.

Doch, das ist das Entscheidende (!), der „Normalzustand“ ist bei jedem Menschen anders!

Und… Was als „Normalzustand“ interpretiert wird, kann trainiert werden!

Oder was glauben Sie, warum Kampfschwimmer für 5 Minuten ohne Sauerstoffzufuhr in einem hermetisch abgeschlossenen Torpedorohr liegen können und dabei immer noch einen Ruhepuls von 44 Schlägen haben?

Oder warum der Puls eines Astronauten beim Start der Rakete und einer mörderischen Beschleunigung kaum erhöht ist, während der Puls bei unerfahrenen Fluggästen beim ersten Ruckeln unseres Flugzeugs bereits auf 170 nach oben schießt?

Die Amygdala interpretiert die Situation in allen Fällen als bedrohlich. Doch aufgrund eines langen und intensiven Trainings kann die Reizschwelle erhöht werden. Ein faszinierendes Thema, auf das ich hier nicht weiter eingehen werde.

Turbulenzen sorgen bei vielen Fluggästen für Angst aufgrund einer alarmierten Amygdala - obwohl wir gar nichts tun können

Turbulenzen sorgen bei vielen Fluggästen für Angst aufgrund einer alarmierten Amygdala – obwohl wir gar nichts tun können

Wichtig ist: Der „Normalzustand“ ist individuell, nicht universell!

Schlägt die Amygdala nun jedoch Alarm, beginnt eine fein abgestimmte Kettenreaktion abzulaufen.

Eine Kettenreaktion, die erst einmal nicht mehr zu stoppen ist.

Es werden, unter anderem, Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet.

Wir geraten in den „Flüchten, Kämpfen oder Erstarren“-Modus („Fight, Flight or Freeze“).

Die Muskeln beginnen zu zittern, wir bekommen rote Haut, wir schwitzen, wir können nicht mehr ruhig sitzen bleiben.

Das ist die Wirkung des Adrenalins.

Kurz danach kommt das Stresshormon Cortisol dazu.

Und der Hormoncocktail eines Amygdala Hijack sorgt dafür, dass

  1. der präfrontale Cortex nahezu nutzlos wird
  2. wir nur noch sehr eingeschränkten Zugriff auf unser Gedächtnis haben (oder wie gut können Sie noch nachdenken, wenn Sie am Geldautomaten bereits 2x die falsche PIN eingegeben haben?)
  3. und ein individuelles, in uns abgespeichertes Standardverhalten zum Umgang mit Krisen und Gefahren abgespult wird.

Manche Menschen rennen vor allen Gefahren weg.

Andere kämpfen, als gäbe es kein Morgen.

Und wiederum andere erstarren.

Das ist der Amygdala Hijack.

Warum gibt es überhaupt den Amygdala Hijack?

Weil er dazu geführt hat, dass wir als Menschen überhaupt überleben konnten.

Beim Anblick des sprichwörtlichen Säbelzahntigers spielt es keine Rolle, ob wir uns an die Namen unserer Kinder erinnern können. Wir sehen nur noch den Tiger, schätzen die Entfernung ab – und rennen davon oder erstarren.

Der Anblick eines Säbelzahntigers aktiviert die Amygdala sofort

Der Anblick eines Säbelzahntigers aktiviert die Amygdala sofort

Ist die Flucht gelungen, kann unser Körper jedoch nicht sofort wieder in den Entspannungsmodus zurückkehren.

Wer schon einmal eine Beinahekollision bei 220 km/h auf der Autobahn abwenden konnte, wird selbst erlebt haben, wie er einige Minuten später rechts ranfahren muss und einige Zeit benötigt, um wieder abzuschalten. Das liegt an all den Hormonen, die erst langsam abgebaut werden.

Deswegen bringt es auch nichts, wenn wir zu jemandem, der gerade einen Wutausbruch hat, sagen: „Du, alles gut. Beruhige Dich einfach“.

Wut und andere Emotionen haben keinen Schalter, mit dem sie einfach ausgeschaltet werden können. Es ist quasi ein „Amygdala Hijack-Hangover“.

Zumindest gibt es keinen Schalter, der so schnell reagiert, wie der „Ein“-Schalter.

Einen „Ein“-Schalter gibt es jedoch. Viele sogar. Das sind „die roten Knöpfe“, die wir alle haben.

Es ist extrem einfach, jemanden aus einem entspannten Zustand binnen einer Sekunde in den Modus des emotionalen Ausnahmezustands zu bringen.

Sowas erleben wir bei uns selbst.

Vor allem erleben wir das bei anderen.

Und wenn wir das bei Mitarbeitern erleben, müssen wir wissen, womit wir es zu tun haben – damit wir selbst angebracht reagieren.

Warum müssen wir uns als Führungskraft damit beschäftigen?

Bedeutung des Amygdala Hijack für uns als Führungskraft:

  • Eine „dumme“, unbedachte, emotionale Aussage einer Führungskraft aufgrund eines Amygdala Hijack kann einen Mitarbeiter – das meine ich jetzt absolut ernst – über Jahrzehnte hinweg negativ beschäftigen und beeinflussen
  • Ein emotionaler Amygdala Hijack-Ausbruch in einer, für Außenstehende unbedeutenden, Situation kann unsere Führungskarriere zum Stillstand bringen
  • Wir könnten einen Mitarbeiter völlig falsch bewerten, weil wir bei dessen, durch einen Amygdala Hijack ausgelöstes Verhalten, als generelle Charakterschwäche auslegen, statt herauszufinden, was die Ursache für dessen emotionale Reaktion war
Wir müssen als Führungskraft unsere Amygdala unter Kontrolle behalten

Wir müssen als Führungskraft unsere Amygdala unter Kontrolle behalten

Bedeutung des Amygdala Hijack bei den Mitarbeitern:

  • Mitarbeiter könnten durch unser Verhalten während eines Amygdala Hijack (den wir mitmachen) massiv verunsichert, eingeschüchtert oder demotiviert werden
  • Mitarbeiter könnten sich selbst in kritische Situationen bringen, wenn sie einen Amygdala Hijack durchmachen und überzogen emotional gegenüber Kollegen, Führungskräften, Kunden oder Geschäftspartnern reagieren
  • Mitarbeiter könnten „normale“ Aussagen unsererseits „falsch“ wahrnehmen, was zu einem Amygdala Hijack führt – da sie an ein früheres Erlebnis in einem anderen Unternehmen oder mit einer anderen Person erinnert werden (obwohl wir es gar nicht so gemeint hatten)

Ist Angst immer schlecht?

Allerdings sind Emotionen und Ängste in gewissem Rahmen auch förderlich! So lernen wir am besten, wenn wir eine gewisse Angst haben – beispielsweise davor, eine Prüfung nicht zu bestehen. Doch die Angst darf eben nicht blockierend und lähmend („freeze„) sein.

Bestimmt haben Sie auch schon einmal erlebt, dass Sie sich Dinge auch beim zehnten Versuch nicht merken konnten – weil es einfach keine Rolle spielt, ob Sie sich nun an den Namen des Kellners erinnern können oder nicht.

Mehr dazu finden Sie beispielsweise im Artikel Warum wir den Stress brauchen des Tagesspiegel.

Bei starker Erregung der Amygdala wird auch das Lernzentrum des Hippocampus stark angeregt. Dies führt dazu, dass die Situation und die mit der Situation verbundenen Personen und Begleitumstände abgespeichert werden. Das ist der Grund, warum der Geruch eines modrigen Kellers auch einen 55-jährigen Athleten binnen Sekundenbruchteilen um 50 Jahre in den Körper und Gedankenwelt des 5-jährigen Kindes zurückversetzen kann, das Angst vor dem Keller hat.

Oder das Klingeln eines Telefons bei jemandem jedes Mal zu einer kurzen Schockstarre führt, weil derjenige vor 17 Jahren telefonisch vom Tod der geliebten Schwester erfahren hat.

Unterschied zwischen Realität und Einbildung fehlt

Unser Körper kann nicht zwischen einer echten Gefahrensituation und einer Situation unterscheiden, die unser Gehirn – die Amygdala – als Gefahrensituation identifiziert.

Wir müssen nur an bestimmte, für uns persönlich mit Ängsten versehene Situationen denken, und sofort wird das entsprechende, automatische Reaktionssystem gestartet.

Der Körper reagiert nur noch.

Er agiert nicht rational, sondern emotional.

Das Gehirn kann reale Ereignisse und nur im Kopf erlebte Dinge nicht unterscheiden

Das Gehirn kann reale Ereignisse und nur im Kopf erlebte Dinge nicht unterscheiden

Was können wir gegen Amygdala Hijack tun?

Wir sind allerdings nicht komplett hilflos. Es gibt einige Maßnahmen, um einen Amygdala Hijack zu entschärfen.

Zählen

So blöd es klingen mag, aber in einer emotionalen Situation erst einmal auf 10, 50 oder gar 100 zu zählen, ist gar nicht falsch.

Erstens bringt es uns Zeit. Und Zeit ist das, was der Körper benötigt, um die Hormone abzubauen.

Andererseits benötigen wir zum Zählen zumindest einen kleinen Teil des präfrontalen Cortex – und jede Form der Reaktivierung dieses Denkzentrums ist gut.

Emotionen Namen geben

Eine unkontrollierte emotionale Reaktion kann nicht nur Außenstehenden, sondern sogar uns selbst Angst machen.

Unbekanntes löst bei vielen generell Angst aus.

Geben wir unserer Emotion jedoch einen Namen, ist sie nicht mehr unbekannt. Studien zeigen, dass alleine der Akt, eine Emotion zu benennen, die Intensität der Emotion reduziert. (Mehr dazu z.B. hier: https://blogs.psychcentral.com/mindful-mastery/2018/03/affect-labeling-step-one-in-emotional-self-care/)

Regen Sie sich beispielsweise über die unverschämten Rennradfahrer auf, die zu dritt nebeneinander auf einer Landstraße fahren und denen es völlig egal ist, dass sie 20 Autos daran hindern, an ihnen vorbeizufahren?

Werden Sie richtig aggressiv und verärgert?

Dann nennen Sie diese Emotion doch beispielsweise „Respektlose Radfahrer-Mitgefühlsemotion“.

Wenn Sie das nächste Mal in der Situation sind, dann versuchen Sie sich daran zu erinnern und es wird schon etwas besser.

Wenn der Name dann auch noch dabei hilft, die Situation zu entschärfen (daher „Mitgefühl“ 😉 ), werden Sie zumindest nicht in Versuchung geraten, diese drei Typen in einer gefährlichen Kurve zu überholen oder gar wie ein Verrückter zu hupen.

Ein Gefühl zu benennen - ihm einen Stempel aufzudrücken - hilft dabei die Emotion zu kontrollieren

Ein Gefühl zu benennen – ihm einen Stempel aufzudrücken – hilft dabei die Emotion zu kontrollieren

Amygdala Hijack Kontrolle für Fortgeschrittene

Eine fortgeschrittene Methode, für diejenigen, die beispielsweise bereits regelmäßig meditieren (Meditation sorgt nachweislich dafür, dass wir weniger aggressiv emotional reagieren), ist folgende:

Im Moment der aufkommenden Emotion frage ich:

  1. Was fühle ich im Moment? Was genau?
  2. Wem/was gegenüber fühle ich gerade diese Emotion/Aggressivität/Angst?
  3. Was war der Auslöser/könnte der Auslöser gewesen sein?
  4. Wie möchte ich am liebsten damit umgehen? Wie sollte ich damit umgehen?

Um diese vier Fragen uns selbst zu stellen und zu beantworten müssen wir bereits in Selbstkontrolle geübt sein.

Diese vier Fragen können Sie jedoch auch nutzen, wenn ein Kollege oder Teammitglied „ausflippt“.

Bevor derjenige weiteren Schaden anrichtet, stellen Sie demjenigen diese Fragen.

Ja, derjenige wird diese nicht entspannt beantworten. Das ist klar.

Aber wenn es ihnen gelingt, denjenigen zum Nachdenken zu bringen, wird derjenige wesentlich schneller „runterkommen“.

Damit reduzieren wir die Gefahr langfristiger, großer Schäden enorm.

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