Kann man Führung lernen?
„Ist man eigentlich zur Führungskraft geboren oder kann man Führung wirklich lernen?“, diese Frage höre ich besonders von jungen Führungskräften regelmäßig im Rahmen der Führungskräfteentwicklung bei meinen Seminaren regelmäßig.
Meine Antwort ist immer die gleiche.
„Natürlich kann man Führung lernen. Mitarbeiterführung erfordert Fähigkeiten und Methoden, ebenso wie viele andere Aufgaben im Berufsalltag. Daher kann (nahezu) jeder eine gute Führungskraft werden und das nötige Wissen erlernen.
Ob man eine exzellente Führungskraft wird, die als Vorbild und Musterbeispiel dienen kann, hängt von mehr ab, als nur Fähigkeiten zu haben und Führungsmethoden zu kennen.
Einige der Fähigkeiten sind allerdings von der Empathie der Person abhängig, die sich nur begrenzt ausbilden lässt – weshalb eine kleine Gruppe von Menschen niemals zur Führungskraft geeignet sein wird.“
Um es anders zu sagen:
- Viele können solide, effektive, von ihren Mitarbeitern respektierte Führungskräfte werden
- Einige können zu sehr guten, beliebten und gleichzeitig effektiven, respektierten Führungskräften werden, für die jeder arbeiten möchte
- Wenige sind naturbegabte, geborene Führungskräfte, die dann langfristig erfolgreich sind, wenn sie sich kontinuierlich weiterentwickeln
- Ganz wenige können zu Vorbildern werden, deren Führungsstil von anderen auch nach Jahrzehnten noch als beispielhaft angesehen wird
- Einer kleine Gruppe von Menschen fehlen die grundlegenden empathischen Fähigkeiten, die zur Führung Voraussetzung sind, so dass diese Personen keine Führungsrolle übernehmen dürfen
Daher gilt auch:
- Ohne das Erlernen von Führungsmethoden werden die meisten Führungskräfte ständig die gleichen Fehler machen, ihre Mitarbeiter frustrieren und nicht effektiv führen
- Ohne kontinuierliche Weiterentwicklung werden die meisten Führungskräfte irgendwann stagnieren und mittelmäßige Führungskräften bleiben
- Ohne Kenntnis der eigenen Stärken und Handlungsbereiche („Schwächen“) werden die meisten Führungskräfte selbst immer wieder die gleichen Fehler machen, die zu Frust im Team führen
- Ohne kontinuierliches Feedback zu ihrem Führungsstil werden die meisten Führungskräfte in vielen Situationen gut agieren, aber in manchen Situationen katastrophal handeln, weil sie nicht erkennen können, dass ihr Führungsstil für diese Situationen angepasst werden müsste
Führungskompetenzen erlernen
Gerade neuen Führungskräften ist oft gar nicht bewusst, welche Aufgaben einer Führungskraft (insbesondere Teamleiter- und Gruppenleiter-Aufgaben) auf sie zukommen.
Auf der Ebene der Teamleiter gehören folgende Aufgaben dazu, die sie beherrschen oder erlernen müssen:
- Organisation
- Kommunikation
- Unterstützung und Weiterentwicklung des Teams
- Disziplinarische Führung
- Inhaltliche Mitarbeit
Wobei hier zwei Facetten zu betrachten sind:
1. Die Fähigkeit, diese Aufgaben zu meistern (mehr dazu in meinem Artikel „5 Aufgaben eines Teamleiters/Gruppenleiters“)
2. Die Kompetenzen im Sinne von Verantwortungsübertragung an die Führungskraft (siehe auch „Kompetenzen einer Führungskraft“)
Je höher die Führungsrolle in der Hierarchie angesiedelt ist, desto weniger ist die inhaltliche Mitarbeit und umso mehr die disziplinarische Führung und das strategische Denk- und Handlungsvermögen dafür entscheidend, ob eine Führungskraft mit ihren Mitarbeitern erfolgreich sein kann. Auch diese Führungsfähigkeiten können erlernt werden.
Nicht jeder führt in allen Situationen gut
Jeder Mensch hat Dinge, die ihm liegen und andere, die ihm nicht unbedingt zusagen.
Ich bevorzuge beispielsweise ein klare, direkte (dennoch wertschätzende) Kommunikation. Ich mag auch anregende Diskussionen und herausforderndes Hinterfragen von Ideen. Was ich aber nicht leiden kann, sind endlose Diskussionen, die sich immer nur im Kreis drehen und bei denen jeder zum fünften Mal nochmals genau das gleiche erzählen muss – aber am Ende kein Ergebnis herauskommt.
So gibt es Führungskräfte, die sind fantastisch darin, neue Mitarbeiter aufzunehmen, langsam zu entwickeln und ihnen Stück für Stück mehr Verantwortung zu geben.
Eine solche Führungskraft hat aber möglicherweise sehr große Schwierigkeiten, wenn das Unternehmen in einer Krise steckt und sich jeder Mitarbeiter massiv beim Kampf ums Überleben des Unternehmens engagieren muss. Dann muss man Mitarbeiter vielleicht auch mal „ins kalte Wasser werfen“, obwohl man sie gerne langsam an Aufgaben herangeführt hätte.
Andere Führungskräfte sind hervorragend darin, schnell Entscheidungen zu treffen, auch wenn die Informationslage unklar ist. Wenn sich die Situation ändert oder neue Informationen verfügbar sind, ändern sie ihre Meinung auch problemlos, wenn sie zu neuen Erkenntnissen gekommen sind. Das ist super, wenn man etwas Neues aufbaut oder in einem hoch-dynamischen oder kritischen Umfeld unterwegs ist. Diese Führungskräfte werden sich jedoch extrem schwer tun, eine 10-Jahres-Strategie zu entwickeln und diese Strategie während Phasen der Unsicherheit oder bei Rückschlägen beizubehalten.
Keine Führungskraft kann in jeder Situation gleich gut führen.
Denn dazu gibt es in der Arbeitswelt einfach zu viele Variablen. Jeder hat seine Stärken und die sollte er nutzen.
Sie würden doch auch nicht von einem 100-Meter-Läufer erwarten, dass er auch im Synchronschwimmen Olympia-Niveau erreicht – oder?
Welche Rolle spielt die Persönlichkeit der Führungskraft?
Da Führung immer mit Menschen zu tun hat, spielen die Persönlichkeit und der Charakter der Führungskraft eine enorme Rolle.
Es ist deutlich leichter, Führung zu erlernen, wenn man emphatisch nicht auf Eisberg-Niveau unterwegs ist.
Ist man jedoch zu emphatisch, dann kann einem eine harte Entscheidung, wie beispielsweise eine Kündigung, so schwerfallen, dass man sie unendlich hinausschiebt. Oft führt das aber zu anderen, kritischen Nebeneffekten, wodurch die Situation für die Führungskraft noch schwieriger wird.
Auch die inneren Antreiber, wie beispielsweise Perfektionismus, kann in der Führung hilfreich oder hinderlich sein. Wer die Qualitätssicherungsabteilung führt, der darf gerne einen Hang zum Perfektionismus haben. Ein Mechaniker-Team einer Fluggesellschaft ist mir dann besonders sympathisch, wenn sie von einem Perfektionisten geführt werden. Da darf sich der Start der Maschine dann auch mal 15 Minuten verspäten.
Eine perfektionistische Führungskraft wird sich jedoch teilweise schwer tun, Aufgaben abzugeben. Weil sie alles perfekt haben möchte und im schlimmsten Fall keinem ihrer Mitarbeiter zutraut, so perfekt zu handeln wie sie. Selbst wenn es um das Tackern von 3 Seiten Papier geht. Damit demotiviert sie einerseits ihre Mitarbeiter und treibt sich andererseits selbst in Richtung Burnout.
Deswegen bedeutet „Führung lernen“ eben nicht einfach nur Führungskräfteentwicklung im Sinne des Erlernens von Führungsmethoden.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit, Charaktereigenschaften und deren hilfreichen sowie weniger hilfreichen Einflüssen auf die Führung ist ebenfalls unbedingt notwendig.
Und diese Beschäftigung mit sich selbst ist nicht nur zu Beginn der Führungslaufbahn wichtig, sondern immer.
Charaktereigenschaften, die beim Führen von 15 Mitarbeitern hervorragend funktionieren, können bei der Leitung einer Abteilung mit 500 Mitarbeitern zur Katastrophe führen.
Deswegen empfehle ich jeder Führungskraft die Lektüre des Buches „Was Dich hierher gebracht hat, wird Dich nicht weiterbringen“ vom Top-CEO-Coach Marshall Goldsmith.
Führen lernen erfordert auch ein förderndes Umfeld
Stellen Sie sich vor, Ihre erste Fahrstunde würde in einem Formel 1 Boliden stattfinden. Denken Sie, das wäre für Ihre Lernerfahrung hilfreich?
Sicherlich nicht.
Wenn wir etwas erlernen wollen, dann benötigen wir ein Umfeld, bei dem Lernen möglich ist, ohne dabei sofort ruinöse Schäden zu verursachen.
Daher ist die Fehlerkultur eines Unternehmens ein elementarer Bestandteil der Führungskräfteentwicklung.
Wer führen lernen soll und sofort für 25 Mitarbeiter verantwortlich ist, der kann erfolgreich sein. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch gering. Es ist besser, mit vier Personen zu starten, und das Team zu vergrößern, wenn man sich etabliert hat.
Erfordert allerdings das Firmenwachstum die Übernahme großer Teams durch unerfahrene Führungskräfte, ist jeder in ein Führungskräfte-Coaching (Einzelcoaching) investierter Euro mindestens das zehnfache wert.
Ja, es gibt Situationen, in die wird man hineingeworfen, weil es keine andere Option gibt. Dann muss man schwimmen oder wird untergehen. Und öfter als man denkt klappt es mit dem Schwimmen – weil man sich selbst nämlich stark unterschätzt.
Doch grundsätzlich sollten wir dafür sorgen, dass die Führungskräfteentwicklung in einem Umfeld stattfindet, bei dem Fehler nicht zu Katastrophen führen und eine sehr enge Feedback-Schleife dabei hilft, das eigene Handeln zu hinterfragen und aus Fehlern zu lernen.
Führung zu erlernen erfordert strukturierte Führungskräfteentwicklung
Deswegen erfordert das Erlernen von Führungsfähigkeiten eine strukturierte und individualisierte Führungskräfteentwicklung.
Und sie sollte nicht erst dann beginnen, wenn ein Mitarbeiter bereits seit 3 Jahren Mitarbeiter führt, sondern davor.
Es gibt einen Grund, warum wir zuerst den Führerschein machen und danach mit dem Auto auf der Straße fahren dürfen.
Wir sind dann noch lange nicht gut darin, aber wir kennen die Basics, um nicht alle fünf Minuten einen Unfall zu bauen.
So ist es auch mit der Führung und dem Einstieg in die Führungsrolle.
- Neue Führungskräfte sollten vor der Übernahme ihrer Aufgabe ein Basiswissen über Führungsmethoden aufbauen und herausfinden, wo ihre Stärken und Handlungsbereiche hinsichtlich der Führung liegen (hier klicken für mehr Details zu unserem online-basierten Bootcamp für neue Führungskräfte).
- Dann sollten sie Führungsverantwortung übernehmen, dabei weiterhin begleitet werden, Feedback zu ihrer Führungsarbeit erhalten und kontinuierlich genau die neuen Führungsmethoden erlernen, die sie benötigen.
- Falls eine Führungskraft im Laufe der Zeit feststellt, dass sie zwar effektiv führt, diese Aufgabe ihr jedoch keine Freude macht und sie mehr erreichen könnte, wenn sie sich auf inhaltliche Arbeit konzentriert, dann muss das Unternehmen diese Möglichkeit bieten.
Die Entscheidung für eine Führungsrolle darf keine Einbahnstraße sein.
Fazit: Wie werde ich eine gute Führungskraft und kann man Führung lernen?
Wer sich nicht nur inhaltlich mit den Aufgaben seines Teams oder Bereichs, sondern auch mit den dort arbeitenden Menschen – also ihren Stärken und Entwicklungsfeldern, ihren Persönlichkeiten und Zielen – auseinandersetzen will und dazu bereit ist, seine Führungsfähigkeiten kontinuierlich zu verbessern, der kann alle Fähigkeiten der Führung erlernen und eine gute Führungskraft werden. Vielleicht sogar eine sehr gute!
Das Risiko der charismatischen und naturbegabten Führungspersönlichkeiten besteht nämlich darin, dass diese Begabung leicht zu blinden Flecken führen kann und die Führungseffektivität deutlich beeinträchtigt.
Deswegen: Wer nicht von Hause aus eine „geborene Führungskraft“ ist, ist nicht wirklich benachteiligt – Talent ist keine Grundvoraussetzung für Erfolg…
Nachtrag: Es gibt Menschen, die niemals führen sollten
Liest man meinen Artikel, kann man den Eindruck bekommen, dass wirklich jeder als Führungskraft geeignet ist.
Dem ist nicht so.
Aus meiner Erfahrung als Executive Coach kann ich sagen, dass zwischen 5 und 10% der Führungskräfte, mit denen ich zu tun hatte, keine Führungsaufgabe übernehmen sollten!
Die meisten Fälle gehören zu Kategorie „emotional unfähig/Empathiefähigkeiten ungenügend“.
Dabei handelt es sich um Menschen, die als Fachexperte sicherlich hochgradig erfolgreich sind, aber nicht einmal ansatzweise verstehen, wie Menschen ticken. Und bei denen auch intensivstes Coaching nicht weiterhilft.
Einem Pinguin kann man auch mit 100 Stunden Flugtraining durch den besten Adler nicht beibringen, wie man fliegt.
Er kann es einfach nicht. Und man sollte ihn auch nicht dazu zwingen.
Gerade deswegen muss die Auswahl von Führungskräften professionell und nicht nur auf Basis von Fachexpertise erfolgen.